Das Geheim-Dossier

Es war im Grunde eine vertrauliche Besprechung im Herbst 1993, die den Anfang der Tragödie am Kitzsteinhorn markiert. Keiner der Beteiligten konnte wissen, dass dieses Gespräch sieben Jahre später, lange nach dem Feuersturm am 11. November 2000, zum möglicherweise entscheidenden Faktum für die Klärung der Unfallursache werden könnte.

Diese knappe Erkenntnis stammt aus dem fünften, vom Gericht bisher geheim gehaltenen Gutachten des 55-jährigen deutschen Unfallforschers Klaus Hellmich. Darin weist der "lngenieur der Wahrheit", wie der renommierte Techniker genannt wird, nach: Die undichte Hydraulikleitung - insgesamt waren drei Liter Öl ausgegossen - sowie der Defekt des Heizstrahlers haben zwar den Brand ausgelöst. Doch die 155 Passagiere mussten aus einem anderen Grund sterben.

Geheimer Talk. Rückblick zum folgenschweren Treffen: Im Jahr 1993 waren in Kaprun kurzfristig mehrere Firmenvertreter zusammengekommen. Am Verhandlungstisch saßen Manager der Gletscherbahnen, Techniker der Firma "Swoboda Karosserie & Stahlbau" sowie Mitarbeiter des renommierten Designbüros Storz aus Zell am See. Sie alle hatten sich - aus "Gründen der Schönheit" - in den Kopf gesetzt, den Führerkabinen von "Kitzsteingams" und "Gletscherdrache" kurvigere, optisch ansprechendere Formen zu verpassen.

Allein aus diesem Grund wurde die ursprüngliche Ausschreibung - die auch den Behörden vorgelegt worden war übergangen: eine Metallkonstruktion, die so feuerfest und brandhemmend gewesen wäre, dass sie jedem Feuer bis zu 1.000 Grad Celsius standgehalten hätte.

Anmerkung: Das verheerende Feuer im Tunnel von Kaprun, so bewiesen die Analysen, erreichte selbst im Stadium des Vollbrandes maximal 800 bis 1.000 Grad.

Kunststoff statt Metall. Aber die Gletscherbahnen waren offenbar mehr an Schönheit als an Si.cherheit interessiert. Denn nur so ist zu erklären, dass anstelle des in der Ausschreibung angeführten Metalls nun ein Material verwendet wurde, das als "glasfaserverstärkter Kunststoff" bezeichnet wird.

Zitat aus dem Gutachten: "Abweichend von der im Baubewilligungs-verfahren zugrunde gelegten Baubeschreibung der Wagenaufbauten waren die Führerstände nicht aus Metall, sondern aus glasfaserverstärktem Kunststoff GFK gefertigt."

Dieses Material lässt sich sehr leicht formen. Doch es hat einen entscheidenden Nachteil. "GFK brennt", wie es im Gutachten heißt, "bei ausreichend zugeführter Energie in jedem Fall und entwickelt dabei nicht ungefährliche Brandnebenprodukte."

In der Expertise führt Klaus Hellmich aus, wie und warum es dieser Kunststoff war, der bei allen 155 Opfern zur Todesursache "Rauchgasvergiftung" geführt hat.

l Das Feuer - das durch die "Undichtheit des Hydrauliksystems" sowie durch den defekten Heizlüfter der Marke Fakir ausgelöst wird und sich durch die "nicht fabrikationsmäßig eingebrachten Einbauten aus Nadelholz und glühfähiger bzw. brennbarer Dämmwolle" weiterfrisst - erreicht nach dem Stillstand des Zuges im Tunnel schließlich auch die Außenverkleidung der Führerkabine.

l Das Feuer ist zu diesem Zeitpunkt immer noch begrenzt. Ein Feuerlöscher, so das Gutachten, hätte genügt, den Brand ohne Probleme zu löschen. Doch der einzige Feuerlöscher ist genau dort versperrt, wo sich der Brand nun langsam auszubreiten beginnt.

l Die Flammen treffen auf die Verkleidung der Führerkabine. Und das Inferno beginnt.

l Hätten die Gletscherbahnen wie in der Ausschreibung vorgesehen Alu verwendet - so konnte Klaus Hellmich nachweisen -, wäre der Brand exakt hier, an der Trennung zwischen der unbemannten Kabine des Wagenbegleiters und den Kabinen der Passagiere, " erstickt. Denn das Metall hätte dem Brand keine Nahrung gegeben, und da, mit wäre dieser zu Ende gewesen

l Doch jetzt greifen die Flammen auf den eigenmächtig eingesetzten glasfaserverstärkten Kunststoff über. Im Gegensatz zum feuerfesten Aluminium kommt es sofort zu einer gigantischen, nahezu unvorstellbaren Qualmentwicklung. Der Kunststoff setzt toxische Substanzen frei, die wie Giftgase wirken. An den später obduzierten Opfern wird festgestellt, dass sie ausnahmslos infolge der Rauchgasvergiftung gestorben sind. Und hier "vorrangig" an den Giften des glasfaserverstärkten Kunststoffs.

Das Feuer ist erst über sie hinweggerollt, als sie bereits erstickt waren.

l Klaus Hellmich kommt deshalb zu dem Schluss: Der Brand wäre vermutlich folgenlos geblieben und hätte vermutlich nicht ein einziges Todesopfer gefordert, wenn die Außenhaut der Führerkabine laut ursprünglicher Ausschreibung produziert worden wäre.

Vom Feuer zum Inferno Der brisante Inhalt des Gutachtens beschäftigt nun auch das Landesgericht Salzburg. "Denn diese Expertise bedeutet nichts anderes", sagt die Wiener Topanwältin Elisabeth Steiner - die nicht nur die meisten Hinterbliebenen aus Österreich vertritt, sondern auch die Interessensgemeinschaft der Angehörigen" - "als dass die Gletschbahnen die Verantwortung dafür tragen, dass sich das lokal begrenzte Feuer zum tödlichen Inferno auswachsen konnte."c sengemeinschal

Jetzt prüft die Staatsanwaltschaft, ob die Behörden überhaupt vom neuen Design der Bahn informiert wurden.

Falsche Wände. Tatsache ist, das wurde im Gutachten des Ingenieurs Helmut Prader festgestellt, dass auch die restlichen Seitenwände der Züge anders als geplant auf den Wagenkasten aufgesetzt wurden. Zitat aus dem Gutachten: "Die Seitenwände der Züge waren nicht wie in der Beschreibung angeführt aus Alucobond-Platten, sondern aus doppelwandigem Aluminium und (mit) 40 mm starkem Styropor ausgefüllt."

Dazu kommt, dass die Außenhaut der Fahrgastkabinen von Anfang an extrem mangelhaft war. Dies belegt die nun aufgetauchte Prozessakte des Landesgerichts Wels mit dem Aktenzeichen 4 Cg 192 / 95.

Darin ist ein Rechtsstreit zwischen der Firma Swoboda, die die Verkleidung angebracht hat, und der Firma Alu-West, die das Material zugeliefert hat, festgehalten, der heute ein bezeichnendes Licht auf die Arbeitsweise in Kaprun wirft.

l Schon kurz nach der Fertigstellung der Züge lösen sich Teile der Alu-Verbundplatten. Es kommt zumProzess.

l Dabei stellt sich heraus, dass die beanstandeten Aluplatten gar nicht vom Zulieferer selbst stammen,sondern "über eine ganze Kette von Zwischenhändlern" von der Firma Jyi Shyyang aus Taiwan bezogen wurden.

l Im Juli 1998 tritt dann ein Geschäftsführer von Swoboda in den Zeugenstand. Er erklärt, warum "erst eine Teilsanierung erfolgt" ist

"Der Kunde (die Gletscherbahnen) musste auch in der Richtung überzeugt werden, dass keine Meldung an die Behörden gemacht werden (sic), weil ansonsten die Gefahr bestanden hätte, dass die Bahn geschlossen (worden) und dann noch ein größerer Schaden entstanden wäre.'l Der Salzburger Anwalt Jürgen Hinterwirth, der die Prozessakte studiert hat, sagt dazu: "Das mangelhafte Material wurde nur nachts und bruchstückhaft ausgetauscht, weil man vermeiden wollte, dass die Behörden die Einstellung der Bahn anordnen."l Im Jänner 2000, zehn Monate vor der Katastrophe, wird das Verfahren plötzlich beendet, es kommt zu einer außergerichtlichen Einigung. Im Juristendeutsch: "Es wurde im Verfahren ewige Ruhe' vereinbart" (siehe auch Kasten unten).

Ein weiteres erschreckendes Faktum findet sich wiederum im Gutachten von Klaus Hellmich. Der 55-Jährige stellte bei der Analyse der verbrannten Zugsgarnitur fest, dass das oberste Abteil, in dem sich zum Zeitpunkt des Unglücks zwanzig Menschen befanden, bis auf ein winziges Fenster vergittert war.

Der Grund dafür: Dieses Abteil wurde von den Bahnen auch als Lastenabteil genutzt, mit dem Baumaterial, Speisen und Getränke auf den Berg geführt wurden. Ohne Gitter hätte ja schließlich das Plexiglas zerkratzt werden können.

ANDREAS KUBA


DER INGENIEUR DER WAHRHEIT
Der deutsche Gutachter Klaus Hellmich verfasste das brisante Gutachten zum Kaprun-Inferno.


Die Anwältin Elisabeth Steiner vertritt Opfergemeinschaft


Stillstand der Uhren.


Die Uhren aus dem Tunnel zeigen den Todeszeitpunkt.


Anwalt Jürgen Hinterwirth

AUFGEDECKT. Swoboda-Geschäftsführer als Zeuge.

"Es wurde ewige Ruhe vereinbart"

Trotz mangelhaften Materials keine Meldung an Behörden

 

Einer der Geschäftsführer der Firma Swoboda sagte 1998 in einem Prozess aus, in dem sein Unternehmen die Zulieferfirma Alu-West verklagte, weil diese an der Außenverkleidung der Fahrgastkabinen mangelhaftes Material aus Taiwan angebracht hatte, das sich schon unmittelbar nach dem Umbau des Zuges im Jahr 1994 zu lösen begann.

Dabei machte der Ingenieur eine interessante Aussage. Gefragt, warum die Bahn trotz der festgestellten Mängel bisher nicht zur Gänze saniert worden sei, gab der Swoboda-Geschäftsführer als Zeuge zu Protokoll: "Der Kunde musste auch in der Richtung überzeugt werden, dass keine Meldung an die Behörden gemacht werden (sic), weil ansonsten die Gefahr bestanden hätte, dass die Bahn geschlossen (worden) und dann noch ein größerer Schaden entstanden wäre."

zurück