Salzburger Nachrichten
9. November 2001

 

DATEN & FAKTEN Schuldfrage / Brandversuche/ Neuer Lokalaugenschein

Schuldfrage
Die Gletscherbahnen (GBK) als Betreiber und die Firma Swoboda (Oberweis bei Gmunden) als Hersteller schieben einander die Schuld zu. Die GBK erklärte mehrfach, sie habe einen ordnungsgemäßen Zug bestellt. Swoboda-Anwalt Gerhard Haslbauer betont, die Auswahl des (brennbaren) glasfaserverstärkten Kunststoffs (GFK) für die Außenverkleidung der Führerstände sei vom Auftraggeber mitbestimmt worden. Manfred Müller, technischer Direktor der GBK: 'Für die Verwendung eines ungeeigneten Heizstrahlers ist eindeutig die Herstellerfirma Swoboda allein verantwortlich. Ich bin erschüttert, dass bei einem Auftrag von 11 Mill. S (799.401 ) ein ungeeigneter Heizkörper eingebaut wurde. Das stellt einen versteckten Baumangel dar.'

Brandversuche
Das eingebaute Modell 'Fakir Hobby S' war nicht für den Einbau in Fahrzeuge gedacht und am 11. November 2000 Ausgangspunkt des Brandes, als ausgelaufenes Hydrauliköl sich an der Glühwendel des Lüfters entzündete. In der Simulation im Linzer Institut für Brandschutztechnik waren (im dritten Anlauf) nach 60 Sekunden die am Lüfter anliegenden Hydraulikschläuche durchgebrannt. Nach 2:25 Minuten herrschte Vollbrand. Nach vier Minuten fing die Führerstandverkleidung Feuer. Ein Test mit einem 'Heller SH 888', einem Heizlüfter, der für den Einbau in die Bahn zulässig gewesen wäre, verlief so: 'Der Heizlüfter wird eingebaut und angeschlossen, das Lüfterrad blockiert und bei maximaler Heizleistung betrieben. Nach ca. 5 Sekunden entzündet sich der auf der Heizwendel befindliche Ölfilm. Unmittelbar nach der Entzündung kommt es zu starker Rauchentwicklung. Nach 3 Minuten und 30 Sekunden erlischt der entstandene Brand selbstständig.' Bei Versuch 22 glühte die Heizwendel nach 30 Sekunden durch, nach 3:40 Min. erlosch der Brand ebenfalls selbstständig.

Neuer Lokalaugenschein
In jener Linzer Halle, wo die Wracks untersucht wurden, wird demnächst ein neuer Lokalaugenschein stattfinden. Beantragt hatte dies Swoboda-Anwalt Gerhard Haslbauer. 'Meine Mandanten wollen sehen, in welchem Zustand der Gegenzug ist.' Bei den Untersuchungen in Linz seien zwar Mitarbeiter der Gletscherbahnen beigezogen worden, aber nicht jene des Kabinen-Erbauers.

 

22 Männer unter Verdacht

Die Ursache für die Katastrophe von Kaprun steht fest, Konsequenzen lassen auf sich warten. Die Staatsanwältin sieht drei weitere Verdächtige.

Staatsanwältin Eva Danninger-Soriat hat die Vernehmung von drei weiteren Personen beantragt. Damit gelten vorläufig 22 Personen als (mit)verantwortlich für die Brandkatastrophe mit 155 Toten. Ausgelöst wurde das Inferno durch ausgelaufenes Hydrauliköl, das sich an der heißen Glühwendel des Heizlüfters im unbesetzten Führerstand der 'Kitzsteingams' entzündete. Der Brand entstand in der Talstation. Die Skifahrer bestiegen eine tödliche Falle.

Zu den Verdächtigen zählen Mitarbeiter der Gletscherbahnen Kaprun, der Firma Swoboda (Hersteller der Wagenaufbauten), Rexrodt (Hydraulik) und jener oberösterreichischen Firma, die die Brandschutztür in der Bergstation einbaute; aber auch Beamte der Genehmigungsbehörde (Infrastrukturministerium), Mitarbeiter des Technischen Überwachungsvereins und eines Zivilingenieurbüros. Im Sommer waren 25 bis 30 Verdächtige benannt worden - um eine Verjährung zu vermeiden. Die Gendarmerie zeigte Mitte Oktober 15 Männer wegen fahrlässiger Herbeiführung einer Feuersbrunst an. Die Staatsanwaltschaft ließ jedoch 19 Personen einvernehmen. Bis Ende des Monats sollen die mehrstündigen Vernehmungen abgeschlossen sein. Hauptfrage: 'Wer hat wann was gewusst?' (U-Richterin Charlotte Rohan-Achammer).

Danninger will bis Jahresende entscheiden, wer vor Gericht gestellt werden soll. 'Es wird viel der Beweiswürdigung unterliegen', sagt die erfahrene Staatsanwältin. In weniger als einem Jahr schloss die Gendarmerie-Kriminalabteilung die Erhebungen ab. Die U-Richterin streut dem Team um Oberstleutnant Franz Lang Rosen: 'Die Ermittlungen sind sehr schnell und gewissenhaft durchgeführt worden. Wir alle haben unser Menschenmögliches getan, dass es schnell geht und die Angehörigen möglichst wenig belastet sind.' Zum Vergleich: Beim Zugunglück von Eschede in Niedersachsen (3. Juni 1998, 101 Tote) fehlte nach mehr als drei Jahren ein Gutachten.

Die Kaprun-Gutachter klärten im Detail, wie und warum der Tod im Tunnel so unbarmherzig zuschlagen konnte: Ein solch verheerender Brand wurde - bei einer Seilbahn ohne eigenen Antrieb - für unmöglich gehalten. Es gab zwei Feuerlöscher, doch diese waren unerreichbar für die Fahrgäste. Es gab unzureichende Vorschriften, die kaum kontrolliert wurden. Daher fehlten in der Bahn Sicherheitseinrichtungen (wie Nothämmer oder Feuerlöscher in den Abteilen). Kein Fluchtweg: Durch den unbeleuchteten, steilen Tunnel verläuft eine 60 Zentimeter schmale Treppe mit mehr als 10.000 Stufen. Im Notfall sollten bis zu 180 Fahrgäste Lautsprecherdurchsagen abwarten und mit Leuchtstäben den Rückzug antreten. So überlebte nur ein Dutzend von 162 Personen im Zug.

Brandexperte Anton Muhr beschrieb die Anordnung von Heizlüfter und Hydraulikschläuchen im Führerstand als 'Zeitbombe'. Unfallanalytiker Klaus Hellmich durchbrach die Logik der heimischen Behörden und verglich die Gletscherbahn mit Zügen im öffentlichen Personenverkehr: 'Die technische Konzeption entspricht nicht den - auch zum Zeitpunkt von Baubewilligung und Fahrzeugherstellung - üblichen Sicherheitsstandards.' Udo Geishofer, der Elektronik und Signaltechnik untersuchte, vermisste Sicherheitsvorkehrungen ebenfalls. Er vermutet, die 'Integration zeitgemäßer Alarm- und Notsysteme' hätte einen Halt der Garnitur vor Einfahrt in den Tunnel erlaubt. Brandschutz-Gutachter Helmut Prader beschrieb die Praxis bei Genehmigungsverfahren: Wurden - wie in Kaprun 1993/94 - nur die Garnituren umgebaut, wurde kein Brandschutzexperte beigezogen. Das Ministerium verließ sich darauf, dass die Firmen nach dem Stand der Technik arbeiten. Eisenbahn-Experte Edwin Engel stellte fest, bei Zusammentreffen eines Defekts der Hydraulik ('primäre Unfallursache') mit einem Brand müsse 'das vorhandene Sicherheitssystem total versagen'.

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Salzburg, orf.at
9. November 2001

Trauerarbeit in Kaprun
Am Sonntag jährt sich zum ersten Mal die Brandkatastrophe von Kaprun. Am elften November 2000 starben 155 Menschen im Stollen der Gletscherbahn auf das Kitzsteinhorn.

Gedenken am Jahrestag
Der Brand der Standseilbahn löste den größten Rettungseinsatz der Nachkriegsgeschichte aus, 600 Helfer waren im Einsatz. Nur elf Erwachsene und ein Kind kamen mit dem Leben davon. Unter ihnen sind der 40-jährige Gerhard Hanetseder aus Gallspach in Oberösterreich und seine 12 jährige Tochter Christiane.
"Ich war unter den Wenigen, die durch glückliche Umstände überlebt haben. Dadurch, dass ich meine Geschichte öfter erzählen konnte, konnte ich das Erlebnis auch besser verarbeiten. Aber natürlich gibt es immer wieder Situationen, in denen ich daran denke, im Lift, unter vielen Menschen, kommt das Erlebnis immer wieder hoch", so Hanetseder.

Für Sonntag sind in Kaprun etliche Veranstaltungen zum Gedenken an die Verstorbenen geplant.

Gedenktag am Sonntag
Mit einer Gedenkwanderung vom Ort bis zur Talstation der Gletscherbahn, einer Gedenkstunde an der Gedenkstätte sowie einer Sonntagsmesse und einem ökumenischen Abendgottesdienst soll den Verunglückten in einem würdigen Rahmen gedacht werden.

Außerdem wird am 11. November kein Skibetrieb auf dem Kitzsteinhorn stattfinden. In der Stadt Salzburg wird am Sonntag um 18.30 Uhr in der in der Stiftskirche St. Peter das Requiem von Wolf gang Amadeus Mozart aufgeführt. Die Veranstaltung ist öffentlich zugänglich.

Der Kulturverein Kaprun veranstaltet auf der Burg Kaprun im Rahmen der Reihe "LEISE TÖNE" am Freitag, den 9.11.2001 um 19.00 Uhr eine Lesung von Elfriede Ott unter dem Titel "einfach zum Nachdenken". Der Eintritt ist frei.

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