Die Presse
8. 3. 2002

Todesbahn Kaprun: Außen High Tech, innen museal

155 Tote am 11. November 2000 in der Gletscherbahn Kaprun klagen an. Die Staatsanwaltschaft Salzburg rekonstruierte die Brandkatastrophe, nennt Ursachen - und verdächtigt vor allem Techniker der Sparsamkeit am falschen Platz und Schlamperei. VON HANS HAIDER

Die Blumen, die zum ersten Jahrestag, dem 11. November, auf die Gräber gelegt wurden, sind längst verwelkt, erfroren. Christopher Denk und Michael Goodridge hätten kurz vor Weihnachten ihren neunten Geburtstag gefeiert, heuer wäre Maximilian Klapper am 14. Jänner sieben Jahre alt geworden, Kyle Goodridge am 13. Februar. Die beiden sind die jüngsten unter den 155 Toten auf der "Gletscherbahn Kaprun 2". Der älteste starb eine Woche vor seinem 71. Geburtstag.

155 Katastrophen-Tote klagen an. Solche Zahlen sind emotionell nicht zu fassen. Das größte zivile Unglück in Österreich seit dem Ringtheaterbrand von 1871, als 386 starben. Auf die jeweilige Landes-Einwohnerzahl projiziert, hat Kaprun prozentuell um ein Drittel mehr Todesopfer gefordert als in den USA der Terror von New York und Washington am 11. September.

"Als Todesursache wurde von den Gerichtsmedizinern in allen Fällen ein kombiniertes äußeres und inneres Ersticken bei Einatmung von Rauchgasen und Kohlenmonoxyd festgestellt", sagt, die Schreckensphantasien der Angehörigen mitleidvoll einbremsend, der vom Wiener Justizministerium approbierte Strafantrag der Staatsanwaltschaft Salzburg gegen 13 namentlich genannte Personen wegen des "Vergehens der fahrlässigen Herbeiführung einer Feuersbrunst" sowie gegen drei wegen des "Vergehens der fahrlässigen Gemeingefährdung".

Prozeß vor dem Sommer

Das erste Delikt wird mit sechs Monaten bis fünf Jahren Haft geahndet, das zweite mit bis zu drei Jahren. Vier Angeklagte sind Akademiker, acht HTL-Ingenieure. Der Prozeß soll noch vor Sommer beginnen.

Aus Vernehmungen, Lokalaugenschein-Protokollen, Bau- und Behördenakten sowie Gutachten hat die Staatsanwaltschaft auf 119 Textseiten nicht nur den Unfallhergang rekonstruiert, sondern auch den bisherigen Betrieb der 1974 eröffneten GBK 2 durchleuchtet - bis hin zum Ausbildungsgang jenes Betriebsleiter-Stellvertreters, den die Bahn nominierte zur "Evaluierung" des Arbeitnehmerschutzgesetzes.

Im Kurs nichts gelernt

Dieser Mann gab zu Protokoll, an einem Ausbildungskurs teilgenommen zu haben. Die Staatsanwaltschaft erhob, daß er an einem einzigen Tages-Trainingskurs nur lernte, wo in einer Küche Gefahren drohen; die Ausbildung einer für Seilbahnen tauglichen Sicherheitsfachkraft dauert beim WIFI Salzburg 324 Stunden.

Was am 11. November 2000 als Katastrophe endete, wurde 1992 in Gang gesetzt. Da beschloß die Direktion, die zwei Doppelwaggons (einer fährt berg-, der andere gleichzeitig talwärts) zu erneuern - freilich nur die Wagenaufbauten.

Innen blieb alles alt

Außen Raketendesign - innen Technisches Museum: ein Verhängnis, denn die Steuer-, Regelungs-, Kommunikationseinrichtungen blieben am Stand von 1974: Wäre etwa auf der Talfahrt die Evakuierung der Passagiere notwendig gewesen, hätte der Begleiter erst 30 Meter am Zug entlang zum hinteren Führerstand laufen müssen, um mit einem Schalter die zentral verriegelten Türen zu öffnen.

Weil ja an den "seilbahntechnischen Gesamtverhältnissen" keine Änderungen vorgesehen waren, also Fahrwerke, Seilanhängung, Schienenbremsen unverändert bleiben sollten, wurde die eisenbahnrechtliche Baugenehmigung vom Verkehrsministerium rasch erteilt. Drei Monate später, am 13. Oktober 1993, wurden beim Hersteller, der Firma Swoboda in Oberweis (OÖ), die Zuggerippe behördlich überprüft. Am 5. und 6. Juli 1994 folgte die Besichtigung der beiden fertigen, nun "Kitzsteingams" und "Gletscherdrachen" genannten Garnituren an der Talstation Kaprun.

Den Wiener Beamten fiel nicht auf, daß Swoboda entgegen den bewilligten Plänen die Führerstände nicht aus Metall, sondern aus glasfaserverstärktem Kunststoff gefertigt hat, daß Styropor zwischen den Aluminiumwänden steckte. Normal, ja sogar (Gummibodenmatten!) leicht entzündbare Stoffe rekognoszierten später die Gutachter in den Waggons.

Die von der Firma Rexroth eingebauten Plastikschläuche mit der Hydraulikflüssigkeit (zu den Manometern an den Führerständen) lagen an jenem Ofen an, der fürderhin die Zugbegleiter vor kalten Füßen bewahren sollten. In ihre Führerstände wurde auch nachträglich ein Lärchenholzboden eingebaut - gegen die Kälte von unten.

In den Fahrgastabteilen fehlten Notausstiege, Nothämmer zum Scheibeneinschlagen, Feuerlöscher, ein Signalknopf oder Mikrophon, um den Wagenführer zu alarmieren. "Rauchmelder, Wärmesensoren waren ebenso wenig vorhanden wie eine brandsichere Abtrennung zwischen den einzelnen Fahrgastabteilen" (StA).

Kein Tor zum Schutz

Der letzte Zug an jedem Tag hatte am untern Ende des Tunnels anzuhalten: Da gab es ein Tor, das zugesperrt werden mußte. Am oberen Ende des Stollens gab es kein Tor zum Schutz der dort aufs Einsteigen Wartenden und des Personals vor Rauch und Feuer.

Für das im Herbst um- und ausgebaute "Alpincenter" wurden solche Türen vorgeschrieben - doch die Rauchmelder samt Steuereinheiten für die Türen erst nach dem Unglückstag eingebaut. In der Anklageschrift ist ein Streit zwischen dem Bahnpersonal und der Lieferfirma protokolliert: Sollen diese Türen, wenn sie sich schließen, auch elektrisch verriegelt werden? Offenbar ahnte das zwischen dem Tunnel und dem Alpincenter diensttuende Bahnpersonal, im Notfall nicht mehr ins Freie zu kommen.

Als die Rauch- und Gaswolke am 11. November in die Bergstation schoß, sahen sich auch wirklich drei Bahnbedienste eingesperrt. Die Brandschutztüren waren zugefallen, als um 9.11 Uhr der Strom ausfiel. Den dreien gelang es, die Brandschutztüren des Alpincenters mit Gewalt aufzuzwängen und zu fliehen; freilich machten sie so den Weg für die giftigen Gase ins Alpincenter frei - dort starben drei Menschen.

Stationsumbau nicht fertig

Für das "Alpincenter" gab es am 11. November noch keine baurechtliche Benützungsbewilligung. Die Bauvollendungsanzeige kam erst am 22. November zur Gemeinde Kaprun. Die Staatsanwaltschaft sagt, daß der Bahnbetrieb am 11. November illegal aufgenommen wurde - trotz aufrechter eisenbahnrechtlicher Bewilligung, die ein Ministerialrat in Wien am 8. Juli 1994 unterschrieben hat.

Beide Züge bestanden aus je einem räumlich getrennten, aber starr miteinander gekoppelten "Berg-" und "Talwagen". Jeder der vier Einzelwagen hatte stirnseitig einen Führerstand. Von dort aus war der Druck im Bremssystem (160 Liter Hydrauliköl) zu kontrollieren - freilich nicht komplett. Denn bei der Bergfahrt konnte der Zugbegleiter nicht die Ursache eines Druckabfalls im Talwagen erkennen. Erst nach Verpuffen von 20 Bar hätte die automatische Bremse gegriffen.

"Ölgetränkte Holzbretter"

Am 11. November 2000 bremste sie 530 Meter innerhalb des Tunnels. Vor der Abfahrt der "Kitzsteingams" in der Talstation hatte der Heizlüfter im hinteren, unbesetzten Fahrerstand durchgedreht. "In der Zwischenzeit hatte der Brand im unteren Führerstand bereits das Kunststoffgehäuse des Heizlüfters, die ölgetränkte Dichtungswolle und die ölgetränkten Holzbretter erfaßt. Die auf der Rückwand des Heizkörpers aufliegenden, ebenfalls aus Kunststoff gefertigten Hydraulikmessleitungen schmolzen, Hydrauliköl spritzte aus und nährte so zusätzlich das Feuer."

Keine Chance!

Der Maschinist in der Bergstation fragte per Funk den Zugbegleiter, wer die "Kitzsteingams" angehalten habe. Der konnte nur sagen: "Ich war es nicht!" Es dauerte um die fünf Minuten, bis es ihm gelang, die Türen an der Tunnelwand (zur nur 60 cm breiten "Diensttreppe" hin) zu öffnen. Die jetzt Fliehenden hatten keine Chance im nach oben schießenden Giftwolkendunkel. Nur zwölf Passagiere, die sich schon vorher durch ein auf der anderen Seite ins Plastikfenster geschlagenes Loch in den Tunnel fallen ließen, überlebten.

Von den 16 Angeklagten hat bisher kein einziger fahrlässiges Handeln eingestanden. Die Gletscherbahn (drei Angeklagte) macht die Firma Swoboda (zwei Angeklagte) verantwortlich für die nicht brandhemmende und sicherheitswidrige Ausführung der Wagenaufbauten und den Einbau eines ungeeigneten Heizlüfters - diese wälzt die Schuld auf die nachträgliche Montage der brennbaren Kunststoff-Hydraulikleitungen an der Rückwand des Heizkörpers durch Rexroth (drei Angeklagte) - und alle berufen sich auf die Waggonabnahme durch das Ministerium (drei Angeklagte). Dem TÜV (zwei Angeklagte) sind weder die ungeeignete Standheizung noch die im ersten Betriebswinter nachgeschobenen Lärchenbretter aufgefallen.

"Die Eisenbahnbehörde will für die unfallkausalen Fehler nicht zuständig gewesen sein, da nach ihrer Darstellung ein Ereignis wie am 11. 11. 2000 wegen bisher vergleichbarer Fälle nicht vorhergesehen werden konnte" (StA).

In der Gebrauchsanteilung des Heizlüfters (Marke "Fakir Hobby") steht ausdrücklich, daß er nicht in Fahrzeuge eingebaut werden darf. Er soll nach jeder Heizperiode gereinigt und überprüft werden. Aber offenbar waren es Schmutz und Staub, die zuerst Feuer fingen, als der Motor heißlief. Schon im Februar und März 2000 mußten in den bergseitigen Führerständen die Fakir-Heizer nach Defekten ausgetauscht werden.

Spätestens damals hätte man, meint die Staatsanwaltschaft, auch die talseitigen Heizgeräte kontrollieren und warten müssen; im unzerstört geborgenen Vergleichszug Gletscherdrache beweisen Spuren, daß schon lange Öl (Entzündungspunkt: 100 Grad C) über den Heizkörper auf den Boden tropfte.

Angeklagte noch im Dienst

Der technische Direktor der Gletscherbahn Kaprun und deren verantwortlicher Betriebsleiter blieben auf ihren Posten, die Beamten im Infrastrukturministerium, denen die Staatsanwaltschaft Amtspfusch vorwirft, sind noch lange nicht 50 und darum fern von jeder diskreten Frühpensionierung. Ein Indizienprozeß steht also bevor - dem sich die Anwälte der Hinterbliebenen als Privatbeteiligte anschließen.

Sie ahnen die "Schuld"

Heimische Fremdenverkehrs-Manager deuten nun an, daß "Mauern" die falsche, weil letztlich unhaltbare Position im Kaprun-Krisenmanagement ist. Weniger internationales Aufsehen droht, so hoffen sie, wenn die Angeklagten rasch Einsicht und Reue zeigten, wo Beweislasten nie wegdebattiert werden können. Die Angeklagten ahnen wohl "Schuld" - aber bei der jeweils anderen Firma. Sie stehen unter enormem Druck: Gemäß den Verschuldensquoten werden die Schadenersatz-Ansprüche adressiert.

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