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8.2.2001

 

Die erlaubte Katastrophe

Die Brandursache von Kaprun scheint geklärt.

Mutmaßlicher Auslöser: der Heizstrahler.

Die Bergung des Wracks wird als millionenschwere Geldverschwendung kritisiert.
Von Emil Bobi

Die 14 Mann umfassende ÖBB-Truppe, die ab Dienstag dieser Woche das Katastrophen-Wrack der Kapruner Gletscherbahn mit einem beispiellosen logistischen Husarenstück bergen wird, kann aufatmen: Sie hat im ausgebuchten Kaprun im letzten Augenblick doch noch ein Quartier gefunden.

Wie beeindruckend die Planung und Vorbereitung der Bergung auch sein mag, so überflüssig ist sie nach Ansicht zahlreicher Experten. Der wohl am besten informierte und daher kompetenteste aller Kritiker ist der Chef des Wiener Kriminaltechnischen Zentrums (KTZ), Volker Edlinger. Edlinger muss exakt wissen, wovon er redet, denn er hat mit fünf seiner Leute die Unfallspuren gesichert, ausgewertet und gedeutet. Er sagt über die 15 Millionen Schilling teure Bergung: "Das ist Verschwendung von Steuergeldern. Wir haben diese Bergung von Anfang an nicht für nötig befunden. Aber auf uns hat man nicht gehört." Und ein Mitarbeiter Edlingers sagt: "Diese Millionen werden nur aus Angst vor Vertuschungsvorwürfen beim Fenster hinausgeschmissen. Ein Deutscher (der Sachverständige Klaus Hellmich, Anm.) sollte dabei sein, damit das alles unabhängig wirkt."

Die Tatsache, dass der Chef der Kriminaltechnik den Ermittlungsschritt der Bergung "vom Anfang an" für überflüssig hielt, lässt darauf schließen, dass die Brandursache auch ohne weitere Erkenntnisse geklärt sein könnte.

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8.2.2001 - Fortsetzung

 

Diese aufregende Einschätzung bestätigt ein anonym bleibender Mitarbeiter des KTZ gegenüber profil: Die Ursache für den Brand, der am Morgen des 11. November des Vorjahres 155 Menschen das Leben kostete, soll der Heizlüfter in der talseitigen Führerkabine des Zuges gewesen sein. Jene "Widerstandsheizung", die 1994 im Zuge der Generalüberholung des "Gletscherdrachen" von der Firma Swoboda Karosserie- und Stahlbau Ges. m. b. H. eingebaut worden war.
Profil hatte unmittelbar nach der Katastrophe als einziges Medium diese Heizung als mögliche Unfallursache genannt.

Überflüssige Bergung
Bis zuletzt hatten sich in den Medien neben der Heizung noch zwei weitere Thesen gehalten: ein Versagen des Bremssystems (Augenzeugen hatten von unvermittelten Stopps und/oder ruckartigen Beschleunigungen berichtet) oder ein Schaden des Radlagers (die berühmten Klopfgeräusche während der Fahrt). Chef-Kriminaltechniker Edlinger kann mit keiner der beiden Varianten viel anfangen. Erstere vernachlässigt er, weil, so Edlinger, "der Zug mit einer komplexen und hochsensiblen Sicherheitselektronik ausgerüstet war, die nicht angeschlagen hat. Wäre da was gewesen, hätte sich doch etwas gerührt." Die Klopfgeräusche wiederum ordnet Edlinger dem Normalbetrieb der Bahn zu: "Der Unterbau des Zuges wurde ja 1994 nicht erneuert. Der stammt aus dem Jahr 1971 und hatte einen entsprechend geringeren Federungskomfort."

Edlinger hält die Bergung für überflüssig und schließt alle Alternativthesen zur Heizung aus. Er vermeidet aber dennoch eine offizielle Bestätigung der einzig verbleibenden Möglichkeit (schwebendes Verfahren) und sagt zur konkreten Heizungsfrage on the records: "Kein Kommentar."

Die anonym bleibende Quelle aus dem KTZ weiß allerdings mehr: Der Bericht des KTZ sei praktisch fertig, die Heizung die Ursache, doch müsse man nun dennoch auf die - überflüssige - Bergung des Zuges warten, um "ein, zwei Tage lang unten hineinzuschauen".

 

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Dass die Heizung die Brandursache war, leuchtet auch Wilfried Pauser, dem Brandschutzexperten der Wiener Berufsfeuerwehr, ein. Pauser: "Mit allen anderen Thesen kommen wir nicht weit. Entweder eine Glühspirale ist gebrochen, oder der Wagenführer hat einen Anorak oder Ähnliches über der Heizung liegen gelassen. Die 200 Grad Ausblastemperatur reichen vollkommen." Was tatsächlich Feuer gefangen hat, dürfte nie geklärt werden.

Auch der Chef der Salzburger Landesstelle für Brandverhütung, Rudolf Lischka, hält die Bergeaktion für "übertriebene Ermittlungen", weil die Ursache seit langem klar gewesen sei. Lischka: "Die Brandübertragung muss über jenes Kabel abgelaufen sein, mit dem der Zug während der Aufenthalte in den Stationen verbunden war. 220 Volt laufen da in diesen Heizstrahler." Weltweite Erfahrungen zeigten, so Lischka, dass die Ursachen von Bränden meist banale seien.

Auch die Frage, warum sich der Brand so schnell ausgebreitet hat, scheint beantwortbar. Kriminaltechniker Edlinger hält die 1994 ebenfalls von der Firma Swoboda angefertigte Karosserie des Zuges für eine "echte Brandlast mit giftigen Gasen". Kein Wunder: Die Karosserie war aus "glasfaserverstärktem Kunststoff" (GFK) gefertigt. Es waren reine Designer-Gründe, die zum Einsatz dieses Kunststoffes geführt haben: Erst damit war die schnittig-moderne Form des Zuges möglich geworden.

Der Betreiber der Standseilbahn, die Gletscherbahnen Kaprun AG, hatte nach der Katastrophe öffentlich behauptet, nichts davon gewusst zu haben, dass die Karosserie aus Plastik gefertigt war. Edlinger: "Dass die das nicht gewusst haben, kann ich mir nun wirklich nicht vorstellen." Derweil scheint der Betreiber auf Tauchstation gegangen zu sein: Mehrmalige Versuche, eine Stellungnahme zu dieser Frage zu bekommen, blieben erfolglos.

Nichts war verboten
Salzburgs oberster Brandverhüter Rudolf Lischka hat die Betriebsvorschriften der praktisch identen Standseilbahnen von Kaprun, Pitztal und Mölltal verglichen. Dabei entdeckte er sonderbare Abweichungen. Während etwa der gleichzeitige Transport brennbarer Güter und Personen mit der Pitztaler und Mölltaler Bahn verboten ist, fehlt ein derartiges Verbot bei der Kapruner Katastrophen-Bahn.

 

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In der Betriebsvorschrift der Pitztaler Bahn findet sich eine Passage, die vorschreibt, dass der Zug im Falle eines auftretenden "Brandgeschehens" nach Möglichkeit bis zur Station weiterzufahren hat. Weder in der Mölltaler noch in der Kapruner Bahn gibt es diese Vorschrift. Wie jetzt aufgrund der minutiösen Rekonstruktion des Unfallherganges klar ist, hätte diese Vorschrift möglicherweise 155 Menschen das Leben gerettet. Lischka rechnet vor, dass die gesamte Fahrt nicht mehr als acht Minuten dauert. Vom Unfallort bis zur Bergstation hätte es noch sechs Minuten gedauert. Mindestens ebenso viel Zeit ist zwischen dem Anhalten des Zuges im Tunnel und dem Ausbruch des Infernos vergangen. Lischka: "Das in der Bergstation Dienst habende Überwachungspersonal hätte die Anordnung zum Weiterfahren geben müssen, und alle hätten überlebt."

Doch Günther B., der in der Bergstation Dienst hatte, gab diesen Befehl nicht. Er konnte nicht wissen, was unten im Zug tatsächlich passierte. Videoüberwachung stand bekanntlich keine zur Verfügung.

Nichts von dem, was in Kaprun passiert ist, scheint verboten gewesen zu sein. Auch nicht das Ablegen von Kleidungsstücken oder anderen Gebrauchsgegenständen über der Heizung der Führerkabine. Lischka: "Darüber findet sich nichts in der Betriebsvorschrift. Und was nicht verboten ist, ist erlaubt."

 

Die Talfahrt
Dienstag beginnt die heikle Bergung des "toten Gletscherdrachen".

In den vergangenen Wochen trainierten alle 14 Personen des ÖBB-Bergeteams eifrig Treppensteigen, um für den Einsatz fit zu werden. Während der mindestens vier Wochen dauernden Bergungsarbeiten werden sie hunderttausende Stufen zu überwinden haben. Anders kann man sich im Tunnel nicht bewegen. Am Dienstag dieser Woche geht es los.

Die insgesamt 16 Tonnen Eisen, die die ÖBBler in den vergangenen Wochen im Wiener Brückenwerk zu einer beeindruckenden Apparatur zusammengeschweißt haben, werden in 900-Kilo-Portionen von Hubschraubern zur Mittelstation der Gletscherbahn am Kitzsteinhorn gebracht und von dort aus mit Behelfswagen weiter zum Einsatzort. Dieser zeigt sich mit Wassereinbrüchen und 42 Grad Gefälle nicht gerade einladend.

 

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8.2.2001 - Fortsetzung

 

Die Operation ist einzigartig wie der Unfall selbst: Zunächst wird das Wrack, das von der Feuerhitze ohnehin mit den Schienen verschweißt wurde, noch zusätzlich fixiert, weil es samt Schienen unverändert geborgen werden soll. Dann werden die Schienen von den Schwellen gelöst, und das gesamte 30 Meter lange Stück wird mittels einer in der Tunnelwand fixierten Hydraulikpresse 50 Zentimeter hoch angehoben. Dazu müssen die zu nahe an die Tunneldecke heranragenden Gerüstteile - nach genauer Dokumentation - abgeschnitten werden.

Dann werden darunter neue Schienen verlegt. Auf diese wird schließlich das von Brückenspezialist Michael Trettler, Einsatzleiter Rudolf Hofer und dessen Team konstruierte und gebaute Walzenfahrzeug gesetzt. Auf dieses Fahrzeug kommt schließlich das zu bergende Unfallwrack.

Das Hauptstahlseil der Bahn ist im Bereich von 200 Metern oberhalb der Unfallstelle zerstört und wird ausgetauscht, weil das gesamte Bergegut schließlich mit dem regulären Seilbahnantrieb ins Tal befördert wird.

Unterwegs gibt es eine leichte Kurve, in der das Wrack noch einmal losgemacht, etwas verdreht und wieder fixiert werden muss.

Unten angekommen, soll ein spezieller Tieflader das Wrack zu jener Halle bringen, in der es dann untersucht werden soll. Doch eine passende Halle konnte bis dato noch nicht gefunden werden. Der Einsatzleiter: "Es ist eine große Herausforderung für uns. Ich hoffe, wir haben alles bedacht." Mulmig wird ihm aber nur beim Gedanken an den Presseansturm. Dass das Wrack überhaupt geborgen wird, geht auf die Initiative des deutschen Sachverständigen Klaus Hellmich zurück. Er erfuhr von profil, dass Teile "seines" Wracks zerschnitten werden müssen. Und er zeigte sich "sehr verwundert darüber".
Niemand habe ihn informiert. Dabei müsse doch alles mit ihm abgesprochen werden.

 

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